Kann man in Armenien ungestraft Genozid verleugnen? – Im Prinzip nicht, aber…
Aga-online.org, Jerewan, 3. Dezember 2009:
21.12.2009 22:01
Artikel 397 des Strafgesetzbuches der Republik Armenien stellt “das Bestreiten, das Herabspielen, die Zustimmung zu und die Rechtfertigung von Genozid“ unter Strafe. In der Rechtspraxis allerdings wurde der Strafrechtsartikel bisher nicht angewandt, im Gegenteil: Am 3. Dezember 2009 wies Richterin K. Petrosjan (Ortsteil Mitte und Nork-Marasch) den Strafantrag von Dr. Armen Ajwasjan zurück. Der Direktor des privaten Zentrums für Strategische Forschungen „Ararat“ hatte gegen die Stiftung „Kaukasus-Institut“ (unter der Leitung von Dr. Alexander Iskandarjan geklagt. Klageanlass war ein vom „Kaukasus-Institut“ herausgegebener Sammelband „Caucasus Neighborhood: Turkey and The South Caucasus” (Yerevan 2008, ISBN 978-99941-2-220-2), der auch den Aufsatz des türkischen Politologen Dr. Aybars Görgülu enthält. Dieser hatte im Zusammenhang mit dem Völkermord an den Armeniern das Wort Genozid in Anführungszeichen gesetzt und die Tatsache dieses Genozids als „zweifelhaft“ sowie den Vorwurf des Völkermords als „unbegründet“ bezeichnet.
Der Beklagte Iskandarjan, der die Verantwortung für die Publikation dieser Leugnungsvariante in Armenien trägt, nahm bisher zu dem Klageantrag weder vor Gericht, noch in den Medien oder sonst wie in der Öffentlichkeit Stellung. Viel mehr lud er A. Görgülu zu einem „Dialog-Seminar“ nach Jerewan ein und bot ihm damit Gelegenheit, nun auch persönlich seine Leugnung in Armenien zu wiederholen. Die zuständige Richterin Petrosjan stellte das Verfahren mit der Begründung ein, dass Anführungszeichen keinen Klagegrund darstellen.
Eine Entscheidung der Berufungsinstanz steht noch aus bzw. wird offenbar verschleppt. Dr. Aiwasjan ist entschlossen, die Angelegenheit notfalls vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof zu bringen, sollte sich die zuständige armenische Rechtssprechung weiterhin ignorant verhalten. Nach Meinung der kritischen Berichterstattung in der unabhängigen russischsprachigen Tageszeitung „Golos Armenii“ („Stimme Armeniens“) lädt die Entscheidung vom 3. Dezember geradezu zu weiteren Leugnungstaten ein. “Jegliche Beziehungen mit der Türkei können nicht die Tatsache des Heimatverlustes und des Genozids am armenischen Volk in Zweifel ziehen“, hatte der armenische Präsident Serge Sargsjan seine Kritiker am Tage der Unterzeichnung der „türkisch-armenischen Protokolle“ (vgl. News vom 10.10.2009) zu beschwichtigen versucht. Die bisherige Rechtsprechung in Armenien zeigt aber, dass genau dies ohne weiteres möglich ist. Besorgt fragen auch wir uns, welche Rechtsbrüche unter dem Vorwand des türkisch-armenischen Dialogs und der „Nachbarschaftspflege“ noch erfolgen. Unsere Sorge erwächst auch aus dem Umstand, dass sich in Armenien die Judikative bisher als schwächste der drei „Gewalten“ erwiesen hat.
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